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Handeln für eine bessere Pflege: Ein Rückblick auf die Unia-Retraite

  • Autorenbild: Jan Honegger
    Jan Honegger
  • 9. Mai 2024
  • 5 Min. Lesezeit

Als aktives Mitglied der Unia hatte ich die Möglichkeit, an der diesjährigen 2-tägigen Pflege-Retraite teilzunehmen, welches von der Unia organisiert wurde. Dabei habe ich viel gelernt und konnte hautnah erleben, wie engagiert die Unia ist und woran sie arbeitet. Dieses Event hat meinen Kampfgeist und meine Motivation für eine bessere Pflege in der Schweiz weiter gestärkt. Mir liegt es daher sehr am Herzen, einige der dort behandelten Themen nach außen zu tragen, damit Pflegekräfte an der Basis spüren, dass Veränderungen im Gange sind. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass diese Veränderungen oft von komplexen Mechanismen begleitet sind und viel Zeit, Arbeit und Engagement erfordern.


Udo Michel vom Entlastungsdienst Bern begann mit einem Input über das Thema Betreuung. Darin betonte er, dass eine qualitativ hochwertige Betreuung das Gesundheitswesen erheblich entlasten kann. Sie trägt langfristig zur Steigerung der Lebensqualität bei und kann einen stationären Pflegeaufenthalt hinauszögern. Leider wird die Bedeutung der Betreuungsarbeit in der Praxis oft nicht angemessen berücksichtigt und finanziell unterstützt. Die Finanzierung der Betreuung ist praktisch nicht geregelt und wird zu einem grossen Teil, und kantonal sehr unterschiedlich, auf die Privathaushalte abgewälzt. Deshalb übernehmen Freiwillige, Angehörige und Nachbarn oft einen Großteil dieser Arbeit, was viel Zeit und Energie erfordert, oft hinter verschlossenen Türen.

Der Entlastungsdienst ist eine Institution, die dazu beitragen möchte, diese Belastung zu mindern, indem sie stundenweise, tageweise oder auch in der Nacht, Betreuungspersonal zur Verfügung stellt, damit Betreuende ihrer Arbeit nachgehen können, Freizeit genießen oder Termine wahrnehmen können. Allerdings handelt es sich dabei um einen gemeinnützigen Verein, der auf finanzielle Unterstützung angewiesen ist. Daher ist es dringend erforderlich, die Gesetze im Bereich der Betreuung anzupassen und Betreuung zu einem Angebot des öffentlichen Dienstes zu machen. Dies betrifft nicht nur die Betreuung von Kindern, sondern auch von Menschen mit Beeinträchtigungen und betagten Menschen.


Bisher habe ich mich stark auf die Pflege konzentriert und den Aspekt der Betreuung vernachlässigt, obwohl ich in der Praxis auch viel Betreuungsarbeit leiste. In Alters- und Pflegeheimen wird jedoch ein beträchtlicher Teil der Betreuung durch Besuche von Angehörigen und freiwillige Helfer unterstützt. Dies ist notwendig, da aufgrund von Personalmangel und Sparmaßnahmen viele betreuende Aufgaben wegfallen würden, da unsere Hauptaufgabe in der Pflege liegt. Die Beziehungs- und Betreuungsarbeit sind im System ungenügend vorgesehen und es fehlen bezahlbare Angebote für Haushaltshilfen, Alltagsunterstützung und integrierte Wohnangebote.


Der zweite Input kam von Barbara Gysi von der SP. Sie informierte uns direkt über den Stand der Umsetzung der Pflegeinitiative. Zuerst möchte ich die Ergebnisse des Forschungsprojekt «Was ist Gute Pflege?» erläutern, wie die Situation bis 2040 aussehen wird:


  • Die Anzahl über 65-Jähriger wird um 52 Prozent zunehmen

  • Die Anzahl über 80-Jähriger wird um 88 Prozent zunehmen

  • Dazu würden 54'000 neue Pflegeheimbetten benötigt

  • Das würde etwa 900 zusätzlichen Heimen entsprechen

  • Die Anzahl Spitex-Klient:innen wird um 100'000 Pflegeempfänger:innen ansteigen

  • Deshalb benötigt es bis 2040, 35'000 zusätzliche Stellen in der Langzeitpflege

  • Im November 2023 waren im gesamten Gesundheitswesen 15'790 Pflegestellen ausgeschrieben (JobRadar)

  • 300 – 400 Pflegende verlassen monatlich den Beruf


Die Bedarfszahlen sind vom Bundesamt für Statistik. Das Forschungsprojekt hat dann festgestellt, dass viele Pflegende in Heimen den Beruf verlassen, weil die Lücke zwischen dem, was sie aufgrund der fehlenden Zeit machen können und dem, was sie machen müssten, nämlich auch Beziehungsarbeit zu leisten, zu gross wird. Gemäss der Studie führt das zu Frust, Krankheitsausfällen und Berufsausstiegen. Hier bezog sich Barbara Gysi auch auf den Input von Udo Michel, da die Schere zwischen Bedarf und Angebot immer mehr aufgeht und dies in eine Versorgungskrise führt. Diese hat zur Folge, dass noch mehr Familienangehörige Betreuung und Pflege übernehmen müssen; Angebote wie jene des Entlastungsdienstes helfen, diese Schere wenigstens ein bisschen zu schliessen.


Aktuell arbeiten wir an der zweiten Phase der Pflegeiniative. Barbara Gysi hat einige mögliche Verbesserungen für die Pflegenden erwähnt, konnte uns am Montag, 06.05.24 jedoch noch keine genaueren Details nennen. Seit Mittwoch, 08.05.24 ist nun das neue Bundesgesetz bekannt, welches vom Bundesrat stattgegeben und in die Vernehmlassung geschickt wurde. Nun haben Gewerkschaften und Verbände zusammen mit ihren Mitgliedern und den Pflegenden drei Monate Zeit, um eine gemeinsame Stellungnahme zu verfassen und dem Bund zu übermitteln. Die Unia hat bereits Termine in allen Regionen angekündigt, bei denen Pflegende aktiv an der zweiten Phase der Pflegeinitiative teilnehmen können, um ihre Bedürfnisse und Anliegen zu äußern.


Folgende Punkte sind aktuell im neuen Bundesgesetz vorgesehen:


  • Pflegende sollen Dienstpläne prinzipiell mindestens vier Wochen im Voraus erhalten

  • Die wöchentliche Höchstarbeitszeit soll von heute 50 auf neu 45 Stunden gesenkt werden

  • Die Normalarbeitszeit soll künftig zwischen 38 und 42 Stunden pro Woche betragen


Nehmt diese Chance wahr und werdet aktiv! Denn das bisherige Gesetz wird nichts an der Arbeitsbelastung in der Pflege verändern. Bei 100% Pensum arbeiten wir bereits mindestens 42 Stunden in der Woche. Mit dieser Formulierung von 38 bis 42 Stunden, bleibt weiterhin ein riesiger Spielraum. Die Dienstpläne werden an den meisten Orten bereits mindestens vier Wochen im Voraus geplant.

Wir benötigen jedoch um die Situation zu entschärfen eine Massnahme bezüglich der Personaldotation, also die Anzahl Pflegenden pro Patient. Und es wäre bereits eine massive Entlastung wenn die Möglichkeit bestünde 80% zu arbeiten mit den Vorzügen eines 100% Pensums. Die Überlastung einzelner Pflegenden kommt daher, dass sie aufgrund des Lohnes 100% arbeiten müssen und weil man die Verantwortung für viel zu viele Patienten/Bewohner/Klienten trägt.

Wenn diese Rahmenbedingungen die Situation stabilisieren, werden auch die kommenden Pflegefachkräfte vom 1. Paket nach der Ausbildung nicht gleich wieder abspringen, sondern eher im Beruf bleiben.


Im dritten Hauptteil des Pflege-Retraite’s stand die Frage der Allianzpolitik im Mittelpunkt. Bei der Allianzpolitik geht es darum, dass Gewerkschaften und Berufsverbände gemeinsame Kampagnen planen und umsetzen. Das Ziel dabei ist es, eine starke Einheit zu bilden, um die Pflege gemeinsam zu stärken. Dies ist jedoch eine komplexe Angelegenheit, da die Kommunikation zwischen den vielen Beteiligten und die gesetzlichen Rahmenbedingungen in der Schweiz herausfordernd sind.

Dennoch habe ich den Willen und die Bereitschaft der Unia gespürt, einen gemeinsamen Ansatz im Interesse der Pflege und des Gesundheitswesens zu finden. Aus meiner Sicht ist es unerlässlich, dass Gewerkschaften und Berufsverbände gemeinsam agieren, um genügend Pflegekräfte zu mobilisieren. Dabei spielt auch die regionale Dynamik eine Rolle, da die Zusammenarbeit in verschiedenen Regionen unterschiedlich funktioniert. In der Ostschweiz habe ich besonders positive Erfahrungen gemacht, da der SBK und die Unia dort eng zusammenarbeiten.


Insgesamt muss ich sagen, dass diese zweitägige Veranstaltung absolut lohnenswert war. Mir ist bewusst, dass die Auswirkungen auf der Basis bisher kaum spürbar sind. Leider braucht vieles einfach Zeit, insbesondere in rechtlichen und politischen Angelegenheiten. Dennoch kann ich jedem, der in der Pflege tätig ist, nur empfehlen, sich aktiv zu organisieren, sei es durch eine Gewerkschaft wie die Unia oder den Berufsverband SBK.

Auch wenn du unzufrieden bist und du das Gefühl hast, dass sich nichts ändert, melde dich an, nimm aktiv teil und wenn du das Gefühl hast, dass zu wenig passiert, kannst du dies ändern, indem du deine Bedürfnisse dort einbringst. Es passiert bereits viel im Hintergrund und Barbara Gysi hat uns nochmals daran erinnert, dass wir mit der Pflegeinitiative bereits sehr weit gekommen sind, im Vergleich zu anderen angenommenen Initiativen, die bis heute nicht umgesetzt wurden. Es ist jedoch auch klar, dass es noch keine Zeit zum Feiern oder Ausruhen ist. Es gibt noch viel zu tun, und dafür brauchen wir jeden einzelnen von euch!



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