Ein ganz normaler Spätdienst: Einblick in die Langzeitpflege
- Jan Honegger
- 19. Apr.
- 3 Min. Lesezeit
Besonders im Zusammenhang mit dem Film „Heldin“, der eine gesamte Spätschicht im Krankenhaus abbildet, möchte ich gerne einmal eine realistische und durchschnittliche Spätschicht in einem Pflegeheim dokumentieren. Einerseits, um aufzuzeigen, wie sich der Pflegealltag tatsächlich gestaltet, andererseits aber auch, weil ich immer wieder höre, dass der Bereich der Langzeitpflege in der öffentlichen Wahrnehmung oft untergeht und die Darstellung im Film teilweise überspitzt sei.
Die Rahmenbedingungen meiner Dokumentation sind folgende:
Arbeitszeit von 13:30 bis 22:30 Uhr. Als Fachmann Gesundheit EFZ übernehme ich die Verantwortung im Spätdienst und arbeite gemeinsam mit zwei Pflegeassistent:innen für insgesamt 25 Bewohner. Bis 16:00 Uhr werden wir zusätzlich von fünf Pflegenden verschiedener Ausbildungsstufen aus dem Frühdienst unterstützt.
Die Bewohner weisen sowohl körperliche als auch psychische Erkrankungen auf – häufig in Kombination. Dazu zählen unter anderem Demenz, Multiple Sklerose (MS), Schizophrenie, Inkontinenz, Parkinson, Suchterkrankungen, Krebs und Depressionen. Darüber hinaus treten auch viele weitere komplexe Krankheitsbilder auf, die eine individuell angepasste Pflege und Betreuung erfordern.
Die folgenden Ausführungen spiegeln exemplarisch einen geregelten und verhältnismässig ruhigen Spätdienst wider – ohne akute Notfälle, Todesfälle oder aussergewöhnliche Ereignisse. Die Perspektive bezieht sich hauptsächlich auf meine eigene Rolle als Bezugsperson im Dienst, während im Hintergrund selbstverständlich ein engagiertes Team mitarbeitet. Die Pflegeassistent:innen und weitere Mitarbeitende übernehmen dabei zahlreiche zusätzliche Aufgaben, ohne die ein funktionierender Alltag in der Langzeitpflege nicht möglich wäre.
13:15 – 13:30 Uhr: Ankommen & Arbeitsvorbereitung
Zu Beginn des Dienstes erfolgt das Umziehen in der Garderobe sowie eine kurze mentale Einstimmung. Diensttelefone werden hochgefahren, erste Einblicke in die elektronische Pflegedokumentation gewonnen und erste informelle Gespräche im Team geführt.
13:30 – 14:00 Uhr: Übergabe & Tageskoordination
Während des Rapportes werden aktuelle Bewohnersituationen, insbesondere komplexe oder kritische Fälle, besprochen. Das Team koordiniert offene Aufgaben, Zuständigkeiten und anstehende Termine. Zudem bietet dieser Rahmen Platz für die Thematisierung persönlicher Belastungen im Team.
14:00 – 14:20 Uhr: Medikamentenkontrolle
Kontrolle und Vorbereitung der Abend- und Nachtmedikation, inklusive Betäubungsmittelkontrolle nach Vier-Augen-Prinzip sowie Prüfung auf Richtigkeit und Vollständigkeit.
14:20 – 15:00 Uhr: Pflege & Begleitung
Unterstützung des Teams bei Transfers, Toilettengängen, Intimpflege sowie der Verteilung von Kaffee und Dessert. Beobachtung des Allgemeinzustands der Bewohner*innen, Gesprächsführung bei Krisensituationen sowie Gabe von Reservemedikation nach Bedarf. Durchführung palliativer Massnahmen wie Umpositionierung, Mundpflege und Injektionen bei starken Schmerzen.
Alle verabreichten Medikamente sowie Vitalwerte und pflegerischen Interventionen werden zeitnah dokumentiert.
15:00 – 15:20 Uhr: Verbandwechsel
Durchführung eines komplexen Verbandwechsels im Zweierteam mit entsprechender Dokumentation und Materialverrechnung.
15:20 – 15:40 Uhr: Administration
Bearbeitung von E-Mails, Auslösen von Material- und Medikamentenbestellungen.
15:40 – 16:00 Uhr: Organisation & Kommunikation
Telefonate mit Angehörigen, Ärztinnen und externen Dienstleistern, Organisation und Begleitung von Bewohnerinnen zu Terminen.
16:00 – 16:30 Uhr: Pause (mit Hintergrundverantwortung)
Kurze bezahlte Pause, während der die telefonische Erreichbarkeit für das Team weiterhin gewährleistet ist.
16:30 – 17:00 Uhr: Abendvorbereitung & Vitalzeichen
Auffüllen von Sauerstoffsystemen, Vorbereitung der Bewohnerzimmer für die Nacht. Durchführung von Blutzuckermessungen und Insulininjektionen, sowie Erhebung weiterer Vitalzeichen wie Blutdruck, Puls und Temperatur.
Alle Werte und Massnahmen werden unmittelbar in der Pflegedokumentation erfasst.
17:00 – 17:30 Uhr: Abendmedikation & Palliative Pflege
Verabreichung der Abendmedikation (inkl. Mörsern und Tröpfeln), Umpositionierungen, Mundpflege sowie Injektionen nach Verordnung. Auch hier erfolgt die zeitnahe Dokumentation aller Massnahmen im System.
17:30 – 18:00 Uhr: Abendessen & Ernährungshilfe
Vorbereitung und Ausgabe des Abendessens, Unterstützung bei der Nahrungsaufnahme, anschliessendes Abräumen und Anbieten von Getränken.
18:00 – 19:45 Uhr: Abendpflege & Nachtruhe vorbereiten
Unterstützung beim Umkleiden, Transfer ins Bett, Durchführung von Intimpflege, Hautpflege, Zahnhygiene und prophylaktischen Massnahmen (Sturz, Dekubitus). Reinigung des Essbereichs und Vorbereitung des Frühstücktisches.
Parallel dazu erfolgt jederzeit das Reagieren auf spontanes Klingeln durch die Rufanlage – Priorisierung und Flexibilität sind dabei essenziell.
19:45 – 20:00 Uhr: Pause (wenn möglich)
Kurze bezahlte gemeinsame Pause je nach Situation. Jederzeit erreichbar für die Bewohner.
20:00 – 21:30 Uhr: Spätabendroutinen & Sicherheit
Verteilung der Nachtmedikamente, Umpositionierungen und Inkontinenzversorgung. Durchführung palliativer Massnahmen wie Mundpflege und Injektionen bei starken Schmerzen. Hausrundgang zur Sicherheitskontrolle (Fenster, Türen), emotionale Betreuung bei Unruhe oder Schmerzen. Vorbereitung der Medikamentenwagen für den Folgetag sowie Kontrolle und Einräumung von Bestellungen.
Auch in dieser Phase wird laufend auf Rufglocken reagiert und jede medikamentöse oder pflegerische Massnahme zeitnah dokumentiert.
21:30 – 22:10 Uhr: Dokumentation
Sorgfältige Einträge im Pflegeverlauf, Dokumentation besonderer Vorkommnisse, Pflegeleistungen und Beobachtungen.
22:10 – 22:30 Uhr: Übergabe an den Nachtdienst
Strukturierte mündliche Übergabe mit Fokus auf Risiken, Besonderheiten und relevante Informationen für die Nacht.




Vielen her Dank für die ausführliche Schilderung. Bin 45 Jahren als Pflegefachfrauen gewesen, habe alles erlebt und habe sehr grossen Respekt für die Menschen die im medizinisches Beruf tätig sind.
Danke, wir brauchen euchehr denn je...
Sehr gut ausgedrückt. Ich habe mir gedacht, was für eine verantwortungsvolle Arbeit wir haben – bei diesem Lohn, Zeitmangel, Personalmangel und ständigem Stress. Und am Ende finden die Krankenkassen die Dokumentation der Beobachtungsphase nicht ausreichend und nehmen eine Rückstufung vor! Ich wünsche mir, dass Mitarbeitende der Krankenkassen sowie Politikerinnen und Politiker eine Woche lang unsere Arbeit übernehmen – und danach bin ich gespannt auf ihre Kommentare.