Mein 1. Jahr als Praktikant
- Jan Honegger
- 29. Nov. 2024
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 2. Dez. 2024
Ich möchte euch von meinen ersten Erfahrungen als Praktikant im Jahr 2010 berichten. Direkt nach der Sekundarschule begann ich ein einjähriges Praktikum in der Pflege in einem Alters- und Pflegeheim. Dabei sind mir besonders drei Themen in Erinnerung geblieben, die sich wie ein roter Faden durch das Jahr zogen: "Gefährliche Pflege", "Ausnutzung" und "Gesetzesverstösse".
Als Praktikant in der Langzeitpflege war ich das sprichwörtliche "Mädchen für alles". Man hatte mehr Verantwortung als später während der Ausbildung, verdiente aber weniger als ein Pflegehelfer. Ein 100-Prozent-Pensum mit Früh-, Spätschichten und Wochenenddiensten war die Regel. An sich ist das verständlich – Praktika sollen schließlich dazu dienen, Berufserfahrung zu sammeln und herauszufinden, ob ein Beruf zu einem passt. Problematisch wird es jedoch, wenn Praktikanten als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden.
In meinem Fall durfte ich beispielsweise mit einem Hebelift allein eine bettlägerige Bewohnerin in die Badewanne transferieren, sie baden, abtrocknen, zurück ins Bett bringen und anziehen – und das alles ohne jede Aufsicht. Damals war ich stolz auf diese Verantwortung. Heute frage ich mich, was wohl passiert wäre, wenn es zu einem Notfall gekommen wäre. Dies ist nur ein Beispiel von vielen, in der ich als Praktikant meinen Kompetenzbereich überschritten habe. Auf Anweisung der Ausgebildeten.
Oft blieb ich länger als meine reguläre Arbeitszeit, weil ich das Team nicht im Stich lassen wollte. Mir wurde vermittelt, dass ich dringend gebraucht würde. Damals hatte ich nicht den Mut, etwas zu sagen, und war gleichzeitig glücklich, weil mir die Arbeit so viel Freude machte. Auch die vielen geteilten Schichten, bei denen ich von 7 Uhr morgens bis 19 Uhr abends mit einer dreistündigen Pause arbeitete, störten mich nicht.
Das grösste Problem war jedoch, dass mir niemand erklärte, wie die Arbeitszeiten genau dokumentiert werden. Überstunden wurden nie gutgeschrieben, und am Ende musste ich sogar mehr arbeiten, weil ich meine Zeiterfassung aus Unsicherheit nicht kontrollierte. Oft sprang ich auch spontan ein – teils aus Motivation, teils aus einem eingeredeten schlechten Gewissen.
Ein weiterer Punkt, der mir damals und bis heute in vielen Betrieben auffällt, ist der immense Zeitdruck. Nach drei Monaten wurde mir gesagt, ich müsse schneller arbeiten, sonst könne ich wieder gehen. Also wurde ich schneller – aber um welchen Preis? Abkürzungen wurden zur Regel: Mal wurde der Oberkörper nicht gewaschen, mal das Zähneputzen ausgelassen oder das Rasieren verschoben. Diese Kompromisse sind jedoch nicht akzeptabel, da die Bewohner für diese Leistungen bezahlen.
Aus Fairness und im Sinne einer Pflege, die mit bestem Wissen und Gewissen durchgeführt wird, sollte darauf geachtet werden, dass nicht immer dieselben Bewohner unter den zeitlichen Einschränkungen leiden. Es ist auch nicht zwingend notwendig, jeden Tag eine vollständige Ganzkörperpflege durchzuführen, aber zumindest die Leistungen, die den Bewohnern in Rechnung gestellt werden, sollten tatsächlich erbracht werden. Schliesslich erwarten wir das Gleiche bei jeder Dienstleistung, die wir selbst in Anspruch nehmen.
Das Problem liegt in der strukturellen Überforderung: Qualitativ hochwertige Pflege braucht Zeit. Wenn man diese Zeit investiert, leiden andere Bewohner darunter, weil sie später aufstehen, essen oder zu Terminen gebracht werden. Oft artet das in einen Wettlauf aus – wer pflegt mehr Bewohner in kürzerer Zeit? Dabei bleibt zwangsläufig etwas auf der Strecke, selbst nach 14 Jahren Berufserfahrung.
Warum schreibe ich heute über Erlebnisse, die so lange zurückliegen? Weil ich immer wieder Nachrichten von Betroffenen oder deren Angehörigen erhalte. Noch immer werden Praktikanten und teilweise auch Lernende in der Schweiz wie vollwertiges Pflegepersonal eingesetzt. Natürlich sind Betriebe froh, wenn sie solche Unterstützung haben, vor allem in Notsituationen. Aber vieles davon könnte durch ausreichend ausgebildetes Personal vermieden oder zumindest reduziert werden. Dafür benötigen die Betriebe, insbesondere die städtischen Einrichtungen, finanzielle Unterstützung von Bund und Kanton. Gleichzeitig muss die hohe Personalfluktuation durch bessere Arbeitsbedingungen deutlich reduziert werden.

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